Das Jugendzentrum "Blackwood Cottage" 1972 bis 1975

von Bernhard Kerstholt

Einleitung

Ende der 60er Jahre zeigte sich Freienohl für die Jugendlichen trostlos. Das Kino (heute Spielhalle) am Friedhofsweg - geschlossen. Die Jugendabteilungen der Ver-eine – vielfach erst in den Kinderschuhen. Schützenfest – nur einmal im Jahr mit Kettenkarussel, naja. In die Gaststätten durften wir theoretisch mit 16 Jahren, das wurde freilich vielfach nicht geduldet, in Begleitung mit Mädels dort nur absolute Fehlanzeige! Das alte Jugendheim in der Twiete – abrissreif. Figgen Büdchen – unspektakulär und zu sehr auf dem Präsentierteller. Zu Branko und Paula in den Balkan-Grill (heute i-punkt) - das Geld reichte hinten und vorne nie. Bei Hohmanns für 5 Pfennige eine Kugel Eis, vier Sorten - nur im Sommer. Zu Frau Berkenkopf in die Pommesstube an den Flipper – auf die Dauer auch nicht erbauend und jeder roch hinterher wo wir uns die Zeit vertrieben hatten.
Laut Musik hören was die alte Musiktruhe hergab - damals für Jugendliche nur in wenigen Häusern und Kellerräumen möglich, oder bei Pöttgens Klaus ihm alten Hühnerstall, ein Geheimtipp, fürwahr schon gut ausgestattet und wenn man so will, der Ideengeber und Vorbote des BWC.
Mobilität – weitestgehend Fehlanzeige, meistens über den Daumen per Anhalter vom Straßenrand oder mit technisch fragwürdigen Autos oder Mopeds der älteren Jungs nach Arnsberg oder Neheim – zu Hause durfte das keiner wissen.
Autoritäre Strukturen allerorten, schwierig genug sich als Kind oder Jugendlicher in dieser Zeit einzupassen.

Basis

Mit Dietmar Baier, Wolfgang Klasmeier, Bruno Korte und Lothar Tschirmer aus Arnsberg (18 Jahre alt1) gehen 1969 vier Musik- und Disko-Begeisterte in Freienohl zum Pastor Bernhard Hagemeyer2. Sie tragen ihm einen besonderen Wunsch vor: „In den Kellerräumen3 des jetzt umgestalteten alten Schwesternheimes / Kinder-gartens möchten wir eine Jugenddisko für Kinder und Jugendliche zwischen 14 und 18 Jahren aus der Taufe heben“. Ganz dicke Bretter mussten die vier beim Pfarrer Hagemeyer im Pastorat in der Twiete bohren.
Finanzielle Mittel existierten nicht, die Jungs (15 bis 18 Jahre alt) sprühten vor Ideen und der zunächst ablehnende Herr Pastor steuerte schlussendlich eine An-schubfinanzierung in Form eines nagelneuen Verstärkers vom Quelle-Versandhaus bei. Uff!
Eine Papiersammelaktion beschaffte das unbedingt benötigte Baugeld. Die WEPA in Müschede kaufte das Altpapier für gute 2.000 DM an. Wir strahlten mit großem Glanz auf den Augen.
Namensgebung
Geplant sollte das BWC nahezu so aussehen wie das Innere einer urigen Blockhütte, wie der Wohnraum eines einsamen Hauses im Wald. Diese Gestaltungsidee, entnommen aus dem damaligen Straßenfeger und Durbridge-Krimi „Das Messer“, 1971 vom WDR produziert und gesendet, gebar den Namen. Das Blackwood Cottage = Schwarzwaldhäuschen war darin einer der beiden Hauptdreh- und Handlungsorte. Die Gruppe Can steuerte mit „Spoon“ den Titelsong zum Fernsehfilm bei und machte sich besonders bei der Jugend mit ihrem ungewohnten Musikstil be-kannt. Mit Hardy Krüger als Spezialagent Jim Ellis spielte für die Jugendlichen eine echt „coole“ Type eine der Hauptrollen. De facto eine clevere Namensgebung, vom großen Francis Durbridge (†1988) entliehen.

Bauphasen

Organisationstalent und eine gute Mannschaft mussten her. Der Helferkreis7 des BWC erweiterte sich und mit den neuen frischen finanziellen Möglichkeiten aus der Altpapiersammlung entstand nach und nach eine populäre Diskothek für Jugendliche.
Die vielen jungen Experten z.B. Wolfgang Klasmeier für die Elektrik und Elektronik gaben dem Projekt schnell Formen und Gestalt, und das in einem rasanten Tempo. Klaus Pöttgen kam später als Bauplaner und Gestalter hinzu.
Die Kellerräume aus großen und schweren Bruchsteinen gemauert, die Befestigung von wandverbundenen Bauteilen folglich eine Herkulesarbeit und oft sehr schwierig. Muskelkraft (hier Friedhelm Arndt) die oft einzige Möglichkeit den Mauern zu Leibe zu rücken. Zu den vorhandenen Holzeinbauten wurden weitere hinzugefügt. Die neu aufgebrachten Wandverkleidungen bestanden aus Fichtenholzschwarten (unbesäumte und sägerauhe, unbehandelte Holzbretter). Sehr viel Holz, offen ver-arbeitet, aus heutiger Sicht für eine „Diskothek“ undenkbar – damals gebräuchlich.
Der Veranstaltungsraum im BWC maß 55 m² und hatte einen leicht rechteckigen Grundriss. Für uns riesig groß, in Betrieb genommen schnell an seine Grenzen geraten mussten wir ihn mehrfach optimieren.
In mehreren Jahren/Bauabschnitten in der Fastenzeit und in den Ferien passierten im BWC Umgestaltungen und Modernisierungen. Das DJ-Pult und die Geträn-ketheke wechselten dabei einige Male die Standorte und wurden den festgestellten Erfordernissen angepasst. Das neueste DJ-Pult mit 1,60 Meter Höhe, eine echte Meisterleistung: entkoppelt vom Boden und den Wänden gebaut, um Nadelspringer der Plattenspieler auf den Vinylplatten zu vermeiden. Um das für die dortige Elekt-ronik und Elektrik gefährliche Abstellen von Getränken auf dem Pult zu verhindern, wurde dieses auf der Oberkante konvex aufgepolstert. Eine aktive Belüftung garantierte den störungsfreien Verstärkerbetrieb. Livemusik (Schlager) gehörte in dieser Zeit noch fast zu jeder Tanzveranstaltung, altbacken, nicht so im BWC, die Tanzfläche im BWC dominant im Mittelpunkt positioniert. Der Platz für eine Bühne fehlte und das BWC entsprach dem neuesten Trend, exzellenter HiFi-Sound und für den jeweiligen Titel moderiertes Licht per-fektionierten diese neue Freizeit in der Disko. Tanzen zu neuen Musikrichtungen entfacht Ende der 60er und Anfang der 70er Jahre einen neuen Massenkult, die Musik infizierte und polarisierte das Lebensgefühl, ein Aufbruch in eine neue Zeit.
Mit dem Einbau eines voluminösen Maico-Ventilators gelang nach hartem Ringen mit dem Bruchsteinmauerwerk die Installation in der Stirnwand der Räume und sorgte für frische Luft und Abkühlung während der Veranstaltungen.
Besonders im ersten Jahr des BWCs zeigten sich die Baumaßnahmen oft erst machbar, wenn die vielen Material- und Maschinenzeitspenden vieler Ausbildungsbe-triebe das BWC-Team unterstützten. In den Firmen befanden sich die jungen Män-ner vom Helferkreis als „Stifte“ in der Ausbildung, erst 14-15 Jahre alt. Auf gut Glück wurde für das BWC viel Material gesungen.

Betrieb

Eröffnung. Gespannt wie die Flitzebogen, alle nervös. Erlösung: Die ersten Veranstaltungen konnten vom Zuspruch der Jugendlichen her keineswegs besser laufen, dauernd volles Haus und sehr gute Getränkeumsätze. Selbst Gäste aus dem wei-teren Umkreis fanden sich ein, sehr viel mehr als herbeigewünscht, keiner im BWC-Team hatte sich das erträumt. Die Jugendlichen haben uns die Bude eingerannt, wir ein starkes Echo erhalten, alle BWCler stolz wie Bolle. Zu jeder Veranstaltung das BWC bereits nach 15 Minuten voll, geduldiges warten folglich für viele angesagt bis die ersten Gäste nach Hause mussten. Das BWC erreichte schnell den Kultstatus.
Die hohe große Sitzbank an der Stirnseite verschaffte den Jungs den Überblick, wo sich die besten Tanzprinzessinnen gerade aufhielten. Das UV-A-Licht (Schwarzlicht) brannte und erbrachte neue körperliche Ansichten, die Bekleidung der Teenager alsbald darauf ausgerichtet. Nicht geplant, entstand in einem Bauabschnitt eine Fummel-Ecke für die anatomischen Erkundungen am anderen Geschlecht. Das dortige „Beleuchtungsproblem“ haben wir nicht in den Griff bekommen und es ergo schnell auf sich beruhen lassen.
An ihre Grenzen geriet sehr schnell die Musiktechnik. Der Quelle-Verstärker und die schmalbrüstigen Lautsprecherboxen zeigten sich nach der Feuertaufe als eher tauglich für eine Kellerbar. Diese Achillesferse musste schnell behandelt werden. Zuverlässige Technik bedeutete damals teuer und nicht in jedem Ort in großer Auswahl verfügbar. Das HiFi-Studio ETASCO in Bachum (Neheim) konnte uns helfen. Eine Hitachi IA-1000 Vor- und Endstufenkombination mit doppelter MOS-FET Bestückung und 2 x 55 Watt an 8 Ohm für fast 1.000 DM bedeutete die Lösung. Vier starke Lautsprecher dazu und die Sorgen mit den Musikausfällen schnell passee. Der Hitachi-Verstärker bekannt als das ausgewiesene Arbeitstier und Referenzgerät für zahlreiche Tests in einschlägigen internationalen Magazinen und Studios ein sehr guter Kauf. Und früh zeigte sich, der Lötkolben und Wolfgang Klasmeier bekamen viel Arbeit ab, schon damals ist die elektronische Technik einer Diskothek nicht vergleichbar mit der Installation im Wohnzimmer.
Ein weiteres unvermutetes Problem trat hinzu. Bei fast jeder dieser ersten Veranstaltungen maßen sich einige junge Heißsporne aus Freienohl und/oder einem westlich gelegenen Nachbarort in ihren Kräften. Berni Kerstholt beendete kurzerhand in Bud Spencer-Manier die meisten Raufereien. Nach schuldhaften Streitigkeiten mit anderen Besuchern zeigte sich die Einführung von Zutrittssperren zum BWC bald als hochwirksame Maßnahme. Ein oder mehrere Wochenende(n) ohne mit Freunden im BWC-Keller in Freienohl zu sein, belasteten die persönliche Freizeit beträchtlich. Insbesondere nachdem wir mit dem Oeventroper Beatkeller (BKO) in Kooperation handelten: Sperre für beide Keller, BWC und BKO, egal wo es zu Vorkommnissen kam.
Die Veranstaltungen im BWC starteten um 17 Uhr, jeweils wechselnd von Samstag zu Sonntag und zurück, ebenso die Veranstaltungen im BKO in Oeventrop, ohne zu konkurrieren. Um 22 Uhr endeten die Veranstaltungen im BWC, der letzte Bus Richtung Arnsberg fuhr 20 Minuten später, die Ruhe für die Anwohner kehrte allmählich zurück. Glücklich im Vorteil die auswärtigen Jugendlichen, deren Mama Führerschein und Auto besaßen, weil außergewöhnlich in diesen Jahren.
Bis 20 Uhr durften Jugendliche im Alter von 14 bis 15 Jahren im BWC Gast sein, ältere Jugendliche von 17 bis 22 Uhr. Der Eintritt kostete 99 Pfennige, weil ein höherer Betrag Pauschalabgaben an die GEMA bewirkt hätten. An der Eintrittskasse hieß es die Hürde zu nehmen: Kassierer und Buchführer Berni Kerstholt wollte einen ungefälschten Ausweis sehen. Manches Mal wurde einerseits gut getrickst, andererseits auch schon einmal ein Auge zugedrückt, oder beides kam irgendwie zusammen. Krokodilstränen flossen jede Woche, ein listiger Trick der Mädchen. Insgesamt das Übliche halt, wie beim Schummeln um ins Arnsberger Kino mit „FSK ab 16 freigegeben“ zu kommen.
An der Kasse gab es für den bezahlten Obolus den begehrten BWC-Stempel auf den Handrücken. Mit den Farben blau und rot wurden die Befugnisse unterschieden. Rot für bis 15-jährige hieß kein Alkohol, Rauchverbot und Abschied um 20 Uhr. Blau bedeutete das volle Programm, mit Biergenusserlaubnis, mit Raucherlaubnis und Gast bis zum Ende um 22 Uhr.
Der fette BWC-Stempel hielt mindestens bis Montag und zeigte klar, dass man am Wochenende dabei gewesen war. Alkohol gab es begrenzt, 1 kleine Flasche Bier für Jugendliche ab 16 Jahren das Machbare. Nicht jede(r) Besucher(in) trank Alkohol – der wurde gewissermaßen „verschoben“. Alkoholleichen oder alkoholauffällige Gäste gab es nur vereinzelt, resultierend aus Schmuggelware (mitgebrachter Schnaps in kleinen Flaschen). Alkoholisierte Ankömmlinge bekamen keine Möglichkeit, ins BWC zu kommen. Gleichzeitig 100 Jugendliche durften maximal im BWC feiern, klönen und tanzen. Über 300 Besucher zahlten zur Sonderveranstaltung zum Karneval Eintritt, hervorgerufen durch ständiges Kommen und Gehen.

Beaufsichtigung

Beaufsichtigt hat unser BWC der Freienohler Vikar Gerhard Cicholas5. Mit dem konnten wir nicht so wirklich etwas anfangen, sehr schwer für uns zu händeln der Herr Vikar. Eifrig nachgezählt hat er immer; wie viele Besucher sind denn hier, wieviel Bier ist getrunken worden. Ist die Musik nicht zu laut?
Die Ermittlung der momentanen Gästezahl, wegen der ständigen Bewegung der tanzenden Menge eine Sisysphusarbeit, ergab immer ein vages Ergebnis. Einige hilfsbereite Mädels nahmen den Vikar freundschaftlich in den Arm, was ihn überhaupt nicht entzückte und er überstürzt das Weite suchte. Die Lautstärke wurde zurückgeregelt – nachdem der Plattenaufleger (DJ) ein Lichtsignal bekam, weil, der Vikar ist hier. So Gott wollte, machte die Geistlichkeit unsere Spielchen mit und ging unserer Betriebsgestaltung nie voll auf den Grund. Zuverlässig ab 20 Uhr verweilte der Herr Vikar zu Hause und schaute die Tagesschau. Gegen 22 Uhr kam unser Seelsorger zurück, beobachtete jede Minute seine Uhr damit wir beizeiten endeten, drückte sich abschließend die Tageskasse an die Brust und schritt damit hurtig in die Twiete.
Auch Mitglieder der kirchlichen Gremien oder Aufsicht führende Eltern zeigten sporadisch Präsenz. Alle Gäste benahmen sich augenblicklich selbstverständlich vorbildlich, indessen hat die gespielte progressive Rockmusik die Aufenthaltsdauer der Kundschafter im BWC zeitlich maßgeblich limitiert.
Die Hausmeister, Familie Walenciak4, und die Nachbarschaft hießen unsere neuen akustischen Errungenschaften logischerweise kaum herzlich willkommen. Wir haben versucht zu dämmen was damals realisierbar schien. Den Außenbereich mit den Besuchern konnten wir nicht leiser stellen. Da blieb oft nur gut Wetter machen und die Hoffnung auf viel Verständnis.
Zunehmend oft musste Berni Kerstholt auf Einladung der kirchlichen Gremien den Gang nach Canossa antreten. Jedes Mal stand das BWC am Pranger Die Gastgeber diskutierten mit ihm schlecht und recht, üblicherweise beschwerlich von unserer Arbeit zu überzeugen, bestanden konsequent auf bei Jugendlichen unpopulären Änderungen. Alle Register mussten gezogen werden, haltbar bis zur nächsten Sitzung, eine Friedenspfeife zu rauchen schien von vornherein dauerhaft ausgeschlossen.

Musikprogramm

Konservative Musik in Form von deutschen Schlagern, da rümpften nach den 68ern zahlreiche junge Leute die Nase und klassifizierten diese auf von vorvorgestern. Musikalisch pendelten die BWC-DJs hauptsächlich zwischen dem facettenreichen progressiven Rock, zuweilen auch Krautrock und Mainstream-Beat. Deutsch gesungene Titel kamen fast nie auf die Teller.
Zwischen 17 und 19 Uhr spielten im BWC die populären Mainstream-Hits aus den 60er Jahren und denen aus Anfang der 70er Jahre, viel Fox und Beat.
Ab 20 bis 22 Uhr lief progressive Rockmusik, Psychedelic Rock und Hardrock fürs fundierte Publikum. Gespielt wurden vorzugsweise Gruppen und Solisten wie Uriah Heep, Deep Purple, Nazareth, Steamhammer, Golden Earring, Procul Harum, Jane, The Animals, John Mayall, Edgar Broughton Band, Herd, Pink Floyd, Savoy Brown, The Rolling Stones, Colosseum, The Doors, Blue Oyster Cult, Emerson Lake and Palmer, Jimi Hendrix, Led Zeppelin, Spooky Tooth, Santana, Alice Cooper, Frumpy, Jefferson Airplane, Sweet Smoke, Amon Düül, The Moody Blues, Eloy, Badfinger, NEU!, The Who, Guru Guru, Ekseption, Earth & Fire, Wonderland, Iron Butterfly, Black Sabbath, Birth Control, Jethro Tull, Steppenwolf, Epitaph, Free, Hawkwind, Hardin & York, Eric Clapton, Ram Jam, Embryo, Beggars Opera, Cream, und, und, und.
Ungewohnt für diese Zeit die Titellänge der ausdrucksstarken Kompositionen der Rockmusik, oft auf einer ganzen Langspielplattenseite befindlich mit bis 17 Minuten Spieldauer (Iron Butterfly mit In-A-Gadda-Da-Vida und dem darin sehr ausgedehnten und unüblichen dreiminütigen Schlagzeugsolo). Viele Titel schafften es in den Folgejahren vom Untergrund in die populären Charts, beispielhaft dafür Deep Purple mit Smoke On The Water.
Die neuen Schallplatten wurden bei Radio Karbe in Arnsberg, bei Radio Kampschulte in Neheim, bei Saturn in Köln und bei „die Schallplatte“ in Dortmund bei dem musikalisch sagenhaft informierten Fräulein Bolt besorgt. Einige Spezialitäten gestalteten sich als äußerst schwierig zu beschaffen, daher wurden ständig auch die weiten Fahrten erforderlich. Selbst in den größten Städten fanden wir oft nur ein paar LPs mit unserer favorisierten Musikrichtung im Plattenfachgeschäft direkt käuflich. Und Unbekanntes musste zuerst dort zur Probe gehört werden. Kein hier empfangbarer Radiosender spielte damals „unsere“ Rockmusik. Musikalische Inspirationen steuerte die Diskothek JARA in Dortmund bei. Oder die vielen Neuerwerbungen, von den Gästen mitgebracht, vom DJ gleich auf den Teller gebracht. Oder eben die Geheimtipps vom Fräulein Bolt. Eine damals pikante Besonderheit: Der Titel Je t‘aime wurde seinerzeit nur unter dem Ladentisch verkauft. Einige der heute ca. 40-jährigen verdanken ihm ihr Leben ;-).
Zahlreiche LP-Plattencover zeigten echte Meisterwerke. Der Plattenstapel wurde neu sortiert, wenn der Vikar im Haus verweilte. Deep Purples Debüt-Album mit dem Kunstwerk „Musikalische Hölle“ von Hieronymus Bosch, der als Rakete startende Kirchturm auf Ramases / Space Hymns und Savoy Brown / Hellbound Train, alles nach hinten, diese Plattenhüllen mochte der Vikar nicht sehen.

Veranstaltungsstruktur

Die DJs im BWC in wechselnder Besetzung hinter dem Pult und an den Tellern:
Dietmar (Schimmel) Baier, Peter (Pico) Jungnitsch, Christian (Chris) Seydewitz, und gewiss viele andere Jungtalente.
Mit zwei Lenco L75-Plattenspielern ausgestattet mit SHURE-Abtastsystemen, Mischpult, Mikro und Verstärker startete die heiße Phase um 18 Uhr. Heiß auch, weil der Kopf des DJs, fast auf Deckenhöhe, alles überblickte und dabei nach kurzer Betriebszeit den höchsten Temperaturen ausgesetzt, sich anstrengen musste. Darüber hinaus die von Wolfgang Klasmeier gebaute Lichtanlage bedienen. Vier Flächenschalter, mit Federn umgebaut zu Tipptastern für die Flash-Lichteffekte (Philips Flood-Strahler), Lichtorgel, Blubber (Ölscheibenprojektor), Mischpult, Mikro auf, wortreiche Moderation der Titel mit Informationen zum Titel und Interpreten, leicht zeitversetzt den Lift am Lenco absenken - die Rille im Vinyl treffen - und den Mischer hoch, Mikro aus. DJ in dieser Zeit zu sein, bedeutete Mehrprozessfähigkeit (Multitasking) auszuführen. In Summe zeigten junge Profis ihr eindrucksvolles Ge-schick. Das BWC präsentierte sich optimal ausgestattet, oft sehr viel besser als diverse gewerbliche Diskotheken in dieser Zeit.
Hier eine handvoll Spezialitäten aus den Musikbereichen:
Joyce Miller mit L.O.D. (Love On Delivery) [Girl-Beat bis zum ich kann nicht mehr]
Deep Purple mit Child In Time (Schimmels Auftritt bis zum Fast-Exitus)
Ramsey Lewis Trio mit Wade In The Water (Opener um 17 Uhr)
The Ventures mit Hawaii-Five-0 (Starter um 18 Uhr und auch zur Hitparade)
The Trashman mit Surfin’ Bird (Das schaffte nicht jeder, mitmachen die Pflicht)
The Spotnicks / Gordon Lightfoot mit If You Could Read My Mind (22 Uhr, grelles Licht an, Ende jeder Veranstaltung)
Um 19 Uhr startete die Hitparade die mittels Abstimmzettel wöchentlich neu er-mittelt wurde, zuverlässig ausgewertet von Angelika Heinze (Klasmeier). Gegen den ewigen Sieger schien kein Kraut gewachsen: Uriah Heep mit Lady in Black. Spannend wurde es, wenn wöchentlich die drei Preise aus allen Tipps und Wün-schen zur Hitparade ausgelost wurden mit den oft glücklichen Gewinnern.

Extras

Besondere Veranstaltungen erlebten wir beim Kinderbeat. Im 4-Wochen-Abstand machten sich die jungen Tänzerinnen und Tänzer (bis 14 Jahre alt) sonntags von 14 bis 17 Uhr im BWC lautstark bemerkbar und forderten ihre eigenen Hits. Dort über alle Jahre unangefochtener Plattenwunsch Nr. 1: „Coconuts from Congoville“ von den Soulful Dynamics. Mehrmalig, durchweg drei Mal in einer Stunde drehte der Titel auf dem Plattenteller. Der DJ sah oft nur die Fingerspitzen mit denen sich die Jungtänzer(innen) am überhöhten DJ-Pult hochzuziehen versuchten. Der häufigste Plattenwunsch definitiv unmöglich zu überhören: kurz und knapp „Coconuts“, die funkelnden Kinderaugen unübersehbar, durchweg für uns alle äußerst beeindruckend, mit Gold nicht aufzuwiegen. Mehr ging nicht!
Einen Versuch war es wert, unsere einzige Veranstaltung ohne Alkohol und Cola, Fanta und Wasser. Vom Hausmeister Walenciak geliefert, brachten wir eine Veranstaltung mit Molkereiprodukten über die Zeit. Laute Proteste gab es nicht, aber auch kein Verlangen nach einer Folgeveranstaltung. Guten Willen hatten wir bezeugt.
Montags wurden der Veranstaltungsraum und die sanitären Anlagen gereinigt, die pure Männerwirtschaft präsentierte sich. Kanisterweise reichlich Meister Proper und noch mehr Wasser, per Schrubber und Flitsche verarbeitet, glänzte das BWC nach zwei Stunden immer wieder picobello.

Applaus

Die Überschüsse finanzierten die Kosten für die technischen Einrichtungen und die für Umbauten und Erneuerungen im BWC. Ebenso wurden aus den BWC-Erlösen die weitere kirchliche Jugendarbeit und die Ministrantengruppe in Freienohl unterstützt. Ein Betriebsausflug des BWC führte den Helferkreis nach Graach zur Mosel zum Weingut Pfeiffer. Ein Weinverkauf fand deshalb später im BWC nicht statt.
Unzählige wertvolle Freundschaften und Partnerschaften die sich heute noch bewähren begannen im BWC, besonders viele zum westlichen Nachbarort, gegen den damaligen einseitigen politischen Trend bestimmter dortiger Lokalpolitiker wegen der kommunalen Neugliederung. Persönliche BWC-Verbindungen auf die alle stolz sein können.

Finale

Im Jahr 1975 kam das Ende für uns alle völlig überraschend. Urplötzlich standen die Überschüsse dem BWC nicht mehr zur Verfügung. Beantragte Neuanschaffungen (u.a. Flashlight) fehlinterpretierten externe Räte technisch vollkommen falsch und unzutreffend. Das Gerät wurde (1975!) von ihnen als Nacktscanner bezeichnet, da hatten die Meinungsmacher nicht genau genug hingeschaut, Science-Fiction pur in Freienohl.
Wir haben den Braten gerochen, wir sollten nicht mehr. David gegen Goliath.
Licht und Ton aus! Ohne Zugabe.
Das BWC wurde von Knall auf Fall Geschichte.
Danke
Dennoch ein großes Dankeschön an Pastor Hagemeyer, Vikar Cicholas und an die katholische Kirchengemeinde Freienohl für vier Jahre uns gestattete Jugendarbeit.
Unser Lob und unser Dank gilt maßgeblich unseren unzählbaren Gästen, die uns dauerhaft besucht haben, die sich perfekt verhalten haben, die ihre Verbundenheit zeigten, die uns unterstützt haben wenn Not an Mann vorkam, oder die ihre Schall-platten mitbrachten.

Nachlese

Vierzig Jahre später, 2015 besuchte ich Freunde, die Familie Wattison6.
Nun, um ganz ehrlich zu sein, der Wunsch zum Gang in den Keller hat mich außerordentlich beschäftigt.
Cate konnte Gedanken lesen und bevor ich loslegte, hat sie mir diesen großen Wunsch erfüllt.
Und dann, im Keller, im alten BWC:
Nüchternheit. Das BWC ist Historie, auch rudimentär nicht mehr zu erkennen, baulich vollständig überarbeitet, Stille, kein Revival möglich.
Ich habe es trotzdem gehört:
Steamhammer – Junior’s Wailing.
Volle Lautstärke, zwei/drei Tage lang im Ohr, alles nur im Geist, wie ein Tinnitus.
Einmal hineinhören: jetzt auch bei dir im Ohr?
Unvergessen: BWC.

Anhang

© Bernhard Kerstholt - V1.0/2017
Alle Personen, Beschreibungen und Handlungen nach bestem Wissen und nach Befragungen.
Sollte sich jemand in seinen Persönlichkeitsrechten verletzt fühlen bitte ich um Nachricht. Der Bericht wird dann angepasst.
PS: Wir verfügen über keine Fotos. Gern würden wir diese hinzufügen.
Kontakt: kerstholt@gmx.de Telefon: 0151 2222 7901 oder 02903 7909


_______________________________________________________________
1 Volljährigkeit
Ab 1975 mit 18 Jahren, davor mit 21 Jahren. Wichtig damals einen „großen“ dabei zu haben.
2 Bernhard Hagemeyer, Pfarrer in Freienohl von 1960 bis 1983, † 1986
Gestaltete das alte Schwesternheim / den alten Kindergarten zum neuen Ver-sammlungsraum für die kirchlichen Vereine um.
3 Kellerräume des alten Schwesternheimes/Kindergartens
Die Kellerräume des alten Schwesternheimes (an der Hauptstraße 46 gelegen, Ecke Katersiepen) im 2. Weltkrieg u.a. als Luftschutzbunker genutzt. Später dien-ten Teile des Kellers als Funktionsräume des Kindergartens, vielen Jugendlichen um 1970 aus ihren Kinderzeiten bei Tante Olga gut bekannt.
4 Hausmeister, Ehepaar Walenciak
Unser Frühwarnsystem und unsere Fürsprecher! Bevor Beschwerden bei den kirch-lichen Gremien landeten, wurden wir von ihnen informiert und bekamen somit Ge-legenheit, unsere Sichtweise darzustellen und/oder zu reagieren. Frau und Herr Walenciak haben uns oft den Königsweg bereitet.
BWC – Blackwood Cottage – 1972 bis 1975
15
5 Gerhard Cicholas, 1969 bis 1975 Vikar in Freienohl, † 2015
Betreute und beaufsichtigte unser BWC.
Kümmerte sich während seiner Zeit in Freienohl ausgeprägt um die Integration der portugiesischen Gastarbeiter. Gerhard Cicholas missionierte zuvor in Brasilien.
6 Clive und Cate Wattison
Heutige Besitzer der Immobilie Hauptstr. 46 / Ecke Katersiepen.
Erzählt ihnen davon, was früher im Schwesternheim/Kindergarten und BWC statt-gefunden und sich dort ereignet hat. Wattisons sind sehr daran interessiert, mehr zur bewegten und umfangreichen Geschichte ihres Hauses zu erfahren.
7 Helferkreis:
Friedhelm (Friedel) Arndt
Dietmar (Schimmel) Baier
Jürgen (Mäuschen) Heutling
Peter (Pico) Jungnitsch
Bernhard (Berni) Kerstholt
Wolfgang (Glasi) Klasmeier
Bruno Korte
Klaus Pöttgen
Walter (Twinky) Pöttgen
Burkhard (Schampus) Schirp
Werner Schirp
Wolfgang (Porky) Schirp
Ulrich Schreiner
Rudolf Schulte (Wenholthausen)
Christian (Chris) Seydewitz
Manfred (Wizzäcker) Wiesemann