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Warum wohl der Hl. Nikolaus unser Pfarrpatron ist?
Warum sich wohl der Bauer vom Schultenhof den Hl. Nikolaus als „Hausherrn“ gewählt hat? Und warum sich wohl „unsere liebe Frau“ – die Mutter Gottes Maria – vom Langenhof als Patronin nicht durchgesetzt hat?
Hoffentlich war es nicht die Macht der Männer vom Schultenhof. Denn der Schulte (viel später hieß er Schultheiß) war der Ortsvorsteher, der Richter, in Dienst genommen vom Grafen in Arnsberg. Und einer der viel späteren Nachfolger vom Schultenhof, der Johann Femme um 1460, war schon mit seinem Namen und mit seinem Wohnsitz „dienstlich fixiert“: Aus dem „Schultenhügel“ ist zur Erinnerung „Am Hügel“ geworden, Name für den offenen Gerichtsplatz. Der Name Femme hat es mit der Feme zu tun; nicht mehr mit der Feme-Gerichtsbarkeit „auf Leben und Tod“ vor Ende des Mittelalters, sondern mit der vorsitzenden, entscheidungsbefugten, ganz normalen Gerichtsbarkeit am Ende des ausgehenden Mittelalters. – Vielleicht war dieses Männer-Prestige der Schulten ausschlaggebender als der Langenhof-Einfluss mit dem bescheidenen Lebens-Konzept der Mutter Gottes.
Doch zugespitzt: Warum ausgerechnet der Hl. Nikolaus?
Für die damalige Zeit, für den Übergang vom Mittelalter zur Neuzeit, gibt es zwei, drei Gründe.
Die eher gegenwartsbezogenen Gründe kommen nicht in Frage. Nämlich der Hl. Nikolaus als Lieblings-Patron der Kinder (Stiefel `rausstellen – Süßigkeiten einfüllen usw.) wegen entsprechend bekannter Legenden.
Warum? Der Hl. Nikolaus war nicht mal ein Märtyrer! Denn die ältesten Kirchengemeinden wählten sich vorzugsweise einen Märtyrer zum Patron. Zumal Blutzeugen doch ganz außerordentliche Vorbilder für die Nachfolge Jesu Christi waren. Aber vielleicht zu außerordentliche.
Da bündelte der Hl. Nikolaus gerade für das Hochmittelalter und die beginnende Neuzeit einige Qualitäten in sich, die als typisch christlich und der Zeit entsprechend als vorbildhaft und auch als lebensnotwendig, Lebensnot wendend, angesehen wurden.
So war der Hl. Nikolaus insbesondere der Patron der Neusiedler, der Gewerbetreibenden, der Kaufleute, der Handelsleute.
Wo neue Siedlungen, größere Dorfgemeinschaften entstanden, Städte sich ausdehnten, da war der Hl. Nikolaus als Patron der richtige Mann am richtigen Platz zur richtigen Zeit. So auch für Freienohl. Aus dem Schultenhof und dem Langenhof hatte sich Freienohl entwickelt als eine Freiheit, als ein Ort ohne Marktrecht, freilich auch ausdrücklich und urkundlich ausgewiesen der Handels-Großorganisation „Hanse“ zugeordnet. Was die notwendig gewordenen sozialen Spielregeln mit dem Hl. Nikolaus zu tun haben, wird inhaltlich noch gekennzeichnet.
Den Hl. Nikolaus als Patron eingeführt hat wohl schon früher der Benediktiner-Orden. Der hatte seiner Zeit dank seiner missionarischen und sozial-politischen Tätigkeit, dank seiner kulturell-zivilisatorischen Leistungen und dank seiner geistlichen Spiritualität die als Leitbild geeigneten Vorzüge des Hl. Nikolaus gerade für das gemeindliche Leben wahrgenommen.
Zwei Beispiele:
Der politisch und zugleich kirchlich ziemlich berühmte „Erzkanzler der heiligen römischen Kirche“ und heilige Erzbischof von Köln, Anno II., hatte 1072 Benediktiner von der Cluniacensischen Reform aus Truttuaria ins Sauerland nach Grafschaft geschickt, damit die hier das Christentum „zügig ausbreiteten“. Dass schon mit diesen Missionaren der Hl. Nikolaus als Kirchengemeinde-Patron ins Sauerland kam, ist anzunehmen. Im Seitenflügel ihrer ältesten Kirchengebäude hatten die Benediktiner einen Nikollaus-Altar aufgestellt. Historisch scheinen zwar Verbindungen von der Abtei Grafschaft über die Urpfarrei Calle nach Freienohl im Laufe auch der nächsten 100, 200 Jahre völlig offen zu sein, eher unwahrscheinlich.
Aber ein anderer Weg, auch über den Benediktiner-Orden, kann nach Freienohl führen, - zugegeben: mehr indirekt. 10 Jahre später, 1087 organisierten Kaufleute die Übertragung der Reliquien des Hl. Nikolaus von Myra aus Kleinasien, aus der heutigen Türkei, über das Mittelländische Meer in die Hafenstadt Bari in Süd-Italien, an der Adria gelegen. Die Kaufleute übergaben die Reliquien der Benediktiner-Abtei in Bari zur feierlichen Aufbewahrung, Aufstellung, vielleicht auch zur Bewachung. Jedenfalls entwickelte sich Bari schnell zu einem viel besuchten Wallfahrtsort, - nicht nur für Italien, sondern auch für das ganze Abendland. Und Wallfahrer verbreiteten die Verehrung des Hl. Nikolaus immer mehr. Auch sie hatten die seiner Zeit hoch aktuellen (und noch zu schildernden) Vorzüge dieses Heiligen und seine wohl erfahrene Wirkmächtigkeit schätzen gelernt. So entstanden in vielen Bistümern viele St. Nikolaus-Pfarrkirchen und Kapellen. Für das Kurkölnische Sauerland mit dem Erzbistum Köln (bis 1827 für Freienohl zuständig, dann das Erzbistum Paderborn) können genannt werden: Büren, Natzungen, Höxter, Nieheim, Germete, Freienohl, Hagen, Rumbeck, Förde, Altengeseke, Lippstadt, Cobbenrode, Rüthen, Neuendorf, Worbis,Heuthen, Siemerode, Kalteneber, Melchendorf, Adersleben, Affeln, Beckum bei Balve, Bremge bei Helden, Rehringhausen bei Neuenkleusheim, Olsberg, Brilon, Obermarsberg, Brachthausen bei Kohlhagen, Milchenbach bei Lenne, Geseke, Halver bei Breckerfeld, Wulmeringhausen, Referinghausen bei Deifeld, Wennemen, Frielinghausen, Berghausen, Enkhausen, Frielentrop bei Schönholthausen, Heringhausen, Kneblinghausen bei Miste, Salchendorf bei Irmgarteichen, Soest, Mailar, Föckinghausen bei Kirchrarbach, Heiligenstadt, Böseckendorf bei Neuendorf, Zella bei Helmsdorf.
Durchaus erwähnenswert und mehr als nur ein Einschiebsel ist auch wegen der zahlreichen Russland-Deutschen in Freienohl und wegen des Auftrags zur Ökumene dieses: Die Übertragung der Reliquien 1087 war ein kirchengeschichtlich und liturgisch wichtiges Ereignis. Denn Papst Urban II. (1088-1099) ordnete jährlich für den 9. Mai ein eigenes Fest an: „Translatio Sti. Nicolai“. Und der Metropolit Ephraim von Russland, der sich noch in der Gemeinschaft mit der römischen Kirche befand, erhob den Gedenktag an diese „Übertragung des Hl. Nikolaus“ sogar zu einem öffentlichen Feiertag für die gesamte russische Kirche. Noch jetzt gehört gerade der Hl. Nikolaus zu den am meisten verehrten Heiligen der Kirchen Russlands (Ikonen-Kenner wissen das sehr gut), fast egal, ob die zur Orthodoxie oder zur römisch-katholischen Kirche gehören. So ist die Verehrung des Hl. Nikolaus bestimmt nicht unbedeutend für die Wiedervereinigung der russisch-orthodoxen Kirche mit der römisch-katholischen Kirche. Unsere St. Nikolaus-Pfarrei Freienohl (und auch Wennemen) kann da gewiss einen ausdrücklich ökumenischen Beitrag leisten.
Also, der historisch wohl ältere Strang der Nikolaus-Verehrung: Bestimmte Lebens-Qualitäten des Hl. Nikolaus ließen ihn zum Patron der Neusiedler neuer Dorfgemeinschaften und der zahlreicher aufkommenden Städte mit ihren so bisher nicht bekannten sozialen Problemen werden.
Der zweite Strang: Die Kaufleute, Handelsleute entdeckten – mit Hilfe vieler Legenden – im Hl. Nikolaus einige geradezu berufsständische Eigenschaften, die sie für sich selbst bei ihrem Schutzpatron sehr gut „gebrauchen“ konnten. So wurde der Hl. Nikolaus der Patron des weitverbreiteten Handelsbundes der Hanse. Sogar Freienohl war dadurch ausgezeichnet und auch dazu verpflichtet, mit einer Delegation regelmäßig an den Konferenz-Tagen der Hanse in Arnsberg und Soest teilzunehmen. Allerdings war in dieser Zeit der Hl. Nikolaus schon längst Freienohler Pfarr-Patron. Dabei mag es dahin gestellt sein, wie historisch genau oder glaubwürdig die überlieferten Angaben zum Schultenhof oder über Johann Femme sind.
Nun sind schließlich skizzenhaft darzustellen die Lebens-Qualitäten des Heiligen, weswegen gerade er der Patron der Neusiedler und der der Kaufleute, Handelsleute wurde und zwar derjenigen, die auch in ihrem Alltag als Christen leben wollten und die dafür bei Gott einen einflussreichen Fürsprecher und für sich selbst einen Einsatz gewillten Helfer wünschten.
Zum Beispiel im Berufsleben der Handelsleute, Kaufleute und auch der Neusiedler (Buiterlinge) in den Städten. Berufliches Können im Handel und Gewerbe war anspruchsvoller geworden, blühte auf und trug auch zum Lebens-Komfort in den Städten bei, ließ sie größer werden. Als selbstverständlich galt damals die Überzeugung, dass der Gewinn auf Erden mit dem Segen des Himmels zusammenhing. Dieses geglaubte Einvernehmen war im Erwerbsleben der damaligen Bürgerschaften manches Mal bedroht und gestört durch zwei Gefahrenbereiche: Zum einen ging durch Wassernot, Schiffbruch, Feuersbrunst, Raubüberfälle, Kriege und kriegsähnliche Zustände kostbare Zeit verloren und damit auch Lebens-Unterhalt und finanzieller Gewinn. Zum anderen war das individuelle und zugleich soziale Leben und auch das „Seelenheil“ gefährdet durch den Missbrauch der „irdischen Güter“ in Gestalt verschiedener zwielichtiger Gewinn-Möglichkeiten durch Geiz, Neid, Ausbeutung und Ungerechtigkeit gegen die Armen. Die damals wohl gründlicheren Wörter dafür waren Wucher und Unbarmherzigkeit. Diese nur skizzenhaft genannten unsozialen Verhaltensweisen innerhalb der Dorfgemeinschaft und Bürgerschaft zeigen in Verbindung mit den Sinn-Spitzen der aussagestarken Legenden den Hl. Nikolaus als hervorragenden Patron für Neusiedler, Handel und Gewerbe und Kaufleute. Diese Legenden brauchen hier sicher nicht entfaltet zu werden. Dass der Hl. Nikolaus auch ein faszinierendes Vorbild für die erzieherisch notwendige Sozial-Kompetenz der Kinder und Jugendlichen ist, wird deutlich im Slogan: „Mach’s wie der Hl. Nikolaus: Tu Gutes. Aber unauffällig und rede nicht darüber!“ Eine typisch christliche, eine ganz andere Praxis als die der gegenwärtigen Gesellschaft in Dorf und Stadt. So ist unsere St. Nikolaus-Pfarrei von ihrem Patron ziemlich eingefordert. Unsere Vorfahren waren mit ihrer Wahl dieses Patrons bestens beraten – gewiss auch dank seiner Hilfe!
Die Quellen sind in dieser Textfassung nicht angegeben. Heinrich Pasternak, Juni 2003